Berliner Phänomen


Nachdem Professor Richard Scherhag, damaliger Chef des Meteorologischen Instituts der Freien Universität Berlin, am 23. Februar 1952 die Messergebnisse der Berliner Stratosphären-Radiosonde auswertete, dachte er an einen Übertragungsfehler. Wurden in einer Höhe von 30 km an den Vortagen noch -48 Grad registriert, so war es dort diesmal 36 Grad wärmer. Da diese enorme und kurzfristige Erwärmung als sehr unwahrscheinlich galt, entschieden sich die Meteorologen nach eigenem Ermessen den erfassten Wert von -12 auf -62 Grad abzuändern. Erst nach weiteren und auch überregionalen Messungen, wie in Dänemark, England und den USA, wurde eine ausgedehnte Warmluftblase in der Stratosphäre nun wissenschaftlich bestätigt. Gemäß der Erstbeobachtung wurde diese stratosphärische Erwärmung als „Berliner Phänomen“ bezeichnet.

Quelle: NOAA Center for Weather and Climate Prediction | Plötzliche Erwärmung der Stratosphäre erfolgte im Verlauf des Januar 2013 zwischen 65 und 90 Grad Nord in 50 hPa.
Quelle: NOAA Center for Weather and Climate Prediction | Plötzliche Erwärmung der Stratosphäre erfolgte im Verlauf des Januar 2013 zwischen 65 und 90 Grad Nord in 50 hPa.

Einfluss der Stratosphärenerwärmung auf das Wetter

Damals waren seine Entstehung und sein Einfluss auf das Wetter ungewiss, heute aber findet die Wissenschaft klare Antworten. In den nordhemisphärischen Wintermonaten kühlt sich wegen nachlassender Sonneneinstrahlung die unterste stratosphärische Luftmasse stark ab und erreicht in 20 km Höhe im Mittel etwa -70 Grad. Die dabei entstehenden starken zirkumpolaren Westwinde verhindern einen Zustrom milder Luftmassen Richtung Pol. Diese stabile Zirkulation wird dann anfällig, wenn warmes Meerwasser die über ihr befindliche Luftmasse erwärmt. Folglich können die Temperaturen innerhalb weniger Tage in den untersten Schichten der Stratosphäre um bis zu 50 Grad steigen. Es erfolgt eine Streckung der Luftsäule (das Volumen der Luft nimmt zu), sodass ein Abfließen der Luft äquatorwärts einsetzt, die Strömung wegen der Corioliskraft nach rechts abgelenkt wird und von Ost nach West gerichtete Winde daraus resultieren.  Auch das Druckgefälle zwischen der Polarregion und den Subtropen nimmt ab, damit schläft auch die milde und feuchte westliche Strömung über Europa ein. So dringt Kaltluft aus Nord- und Nordosteuropa bis nach Mitteleuropa vor.

Unterschiedliche Typen der Stratosphärenerwärmung

Heute unterscheiden die Wissenschaftler zwischen 4 verschiedenen Typen der explosionsartigen Stratosphärenerwärmung. Kommt es zwischen 60° Nord und dem Nordpol in 10 hPa (ca. 30.000 m ü. NN) zu einer Umkehr des Temperaturgradientens und zu einer Zirkulationsumkehr (Westwinde drehen auf Ost), spricht man von „Major Warming“. Ein kräftiger Temperaturanstieg in kurzer Zeit (mindestens 25 K innerhalb einer Woche) in einer beliebigen Stratosphärenschicht in irgendeinem Gebiet der Winterhemisphäre wird als „Minor Warming“ definiert.  „Canadian Warmings“ werden durch Pulsationen des Aleutenhochs verursacht, das sich nach Kanada verlagert. So kann es trotz geringer Intensität der Erwärmung zu einer Umkehr des Temperaturgradienten nördlich von 60°N und zu einer Windumkehr in 10 hPa kommen. „Final (Major) Warmings“ führen zur endgültigen Umkehr des Temperaturgradientens und der Zirkulation zu sommerlichen Bedingungen. Diese treten durchschnittlich zwischen März und Mai auf.

Kalte Witterungen nach Stratosphärenerwärmung

Wissenschaftler führen den kalten und schneereichen Dezember 2010 auf eine Erwärmung der unteren Stratosphäre zurück. Jeden zweiten Winter ist dieses Phänomen zu beobachten, verteilt sich aber sehr unregelmäßig über dem Bezugszeitraum. So wurde das Berliner Phänomen zwischen den Wintern 1988/1989 und 1997/1998 ein Mal, seit 2000 aber bereits 9-mal beobachtet. Die Ursache hierfür sehen die Wissenschaftlicher in den derzeit dominierenden  Meeresströmungen, deren Intensität im Rhythmus von Jahrzehnten schwanken kann. Eine Frostperiode im Februar 2012 sowie ein ungewöhnlich kalter März 2013 können ebenfalls auf eine plötzliche Stratosphärenerwärmung zurückzuführen sein.

Weiterführende Literatur

  1. SPEKTRUMDIREKT (24.11.2011), http://www.wissenschaft-online.de/artikel/1061550, Berliner-Phänomen lässt Europa frösteln.
  2. Institut für Meteorologie, Freie Universität Berlin (WS 2006/2007), http://strat-www.met.fu-berlin.de/~lang/lectures/Mittlere_Atmosphaer/Vorlesung5.pdf, Stratosphärenerwärmung
  3. DER SPIEGEL (04.03.1964), http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46163352.html, Berliner Blasen

Autor: Denny Karran | Veröffentlicht: am 30.11.2011 | © Welt der Synoptik