Gewitter & Gefahren

Multizellengewitter


© Welt der Synoptik | Multizellengewitter über dem Odenwald.
© Welt der Synoptik | Multizellengewitter über dem Odenwald.

"Multizellen sind regelmäßig zu beobachtende und langlebige Gewitterkomplexe, die aus mehreren Gewitterzellen bestehen. Diese Einzelzellen weisen jeweils mit etwa 20 bis über 60 Minuten eine deutlich kürzere Lebensdauer auf, als der Gewitterkomplex insgesamt. Denn dieses besteht mehrere Stunden."

Arten & Gefahren

Zu den Multizellengewittern gehören Multizellencluster (multicell cluster) und Multizellenlinien (multicell lines). Diese wiederum treten in Mitteleuropa häufig als mesoskalige konvektive Systeme und selten als mesoskalige konvektive Komplexe in Erscheinung. Die horizontale Ausdehnung der Multizellensysteme erreicht 30 bis über 100 km. Bei Multizellenlinien, wie Squall Lines, können im Extremfall auch Ausmaße von über 1000 km beobachtet werden (USA).

Mesoskaliger konvektiver Komplex

Mesoskaliges konvektives System

Squall line

(Böenfront)

Bow echo

(Bogenecho)


Aufgrund der zum Teil enormen horizontalen Ausdehnung von Multizellengewittern kommt es nahezu immer zu Starkregenfällen, die mitunter Überflutungen verursachen können. Dies ist auch der Fall, wenn sich das Multizellengewitter relativ schnell verlagert. Je nach CAPE und Windscherung ist auch klein- oder großkörniger Hagel zu erwarten. Aber nicht nur der Starkniederschlag ist eine gefährliche Begleiterscheinung eines Multizellengewitters, auch drohen Sturm- und Orkanböen sowie selten auch Tornados.

Auslöse von Multizellengewittern

Multizellen bilden sich oft an Kaltfronten, wenn präfrontale potentiell instabile Luft gehoben wird. Die Gewitterintensität ist dabei höher, je stärker sich die präfrontale Luft im Warmluftsektor bedingt durch die kräftige Einstrahlung erwärmen kann. Multizellen können sich aber auch an Warmfronten entwickeln, wenn die aufgleitende Warmluft potentiell instabil ist. Warmfrontgewitter aber werden sehr selten beobachtet. Weitere dynamische Auslöser für Multizellengewitter sind Höhentröge, der Jetstream, Kaltlufttropfen, Bodenkonvergenzen oder der Outflow anderer Gewitter. Die Auslöse von Multizellen ist dabei saisonal unabhängig. Das gesamte Jahr über ist mit ihnen zu rechnen, wobei die höchste Intensität in den Sommermonaten erreicht wird. Aufgrund dieser Tatsache ist das Multizellengewitter der häufigste Gewittertyp.

 

Wie die Outflow Boundary neue Gewitter im Multizellenkomplex triggert

Ist ein Multizellengewitter entstanden, bilden sich an dessen vorderseitige outflow boundary immer wieder neue Gewitterzellen, während rückseitig die Konvektionsaktivität mehr und mehr nachlässt. Damit dient der outflow, ein kalter und dichter Gewitterausfluss, als Trigger für neue Zellen, die sich aufgrund des leichten Rechtdrehens des Windes mit der Höhe vor allem an der rechten Seite des Systems entwickeln. Eine hohe Windscherung in der unteren Troposphäre verschärft diesen Vorgang, während eine hohe Windscherung bis in die mittlere Troposphäre das Gewittersystem "stabilisiert".

Dieser Vertikalschnitt eines Multizellengewitters zeigt die Entwicklung von Gewitterzellen von rechts nach links in einem Gewitterkomplex. Neue Zellen entstehen dabei an der Outflow Boundary. Windscherung führt zu einem getrennten Auf- und Abwindbereich.
Dieser Vertikalschnitt eines Multizellengewitters zeigt die Entwicklung von Gewitterzellen von rechts nach links in einem Gewitterkomplex. Neue Zellen entstehen dabei an der Outflow Boundary. Windscherung führt zu einem getrennten Auf- und Abwindbereich.

Entstehungsvoraussetzungen und Vorhersagbarkeit

(großräumige Hebung angenommen)

Windscherung

Wichtig für den Selbsterhaltungsmechanismus der Gewitterzellen ist eine hohe vertikale Windscherung bis in die mittlere Troposphäre (0-6 km deep- layer shear = DLS) von etwa >15 m/s (>30 kn).

 

Diese führt zu einem getrennten Auf- und Abwindbereich in der jeweiligen Gewitterzelle. Weiterhin sollte der Betrag der vertikalen Richtungsänderung des Windes in der Höhe gering bleiben. Ist die Windgeschwindigkeitsscherung zu hoch, besteht die Gefahr, dass die Gewitterzellen regelrecht "zerfetzt" werden. Daher sollte bei hohen Scherungswerten (>25 m/s) auch eine hohe CAPE vorhanden sein. Zu bedenken aber ist, dass auch hier das Festsetzen von Grenzwerten unmöglich ist, denn Schwergewitter wurden auch schon bei einem schwachen ML-CAPE bis 500 J/Kg und einer DLS von rund 30 m/s beobachtet.

 

Statische Stabilität

Die Luftmasse sollte mit KO-Werten von kleiner 6 hochreichend potentiell instabil sein und die ML-CAPE mindestens 200 bis 300 J/kg erreichen.

 

Feuchte

Mit einer bodennahen absoluten Feuchte von mehr als 6 g Wasser pro m³ Luft muss der Wassergehalt für Feuchtkonvektion ausreichend hoch sein. Das entspricht in etwa Taupunkte von mindestens 5 bis 7 °C in 2 m ü. Grund. Ausreichend Feuchtigkeit sollte auch bis zu einer Höhe von 700 hPa (mindestens 60 bis 75 %) vorhanden sein.

 

Vorhersagbarkeit

Bei Multizellengewittern ist eine frühzeitige Vorhersage (Kurzfristbereich) mithilfe von hochauflösenden Modellen, zeitnah auch mit Remote-Sensing-Produkten, möglich. Da dieser Gewittertyp in Verbindung u. a. mit Fronten oder Bodenkonvergenzen in Verbindung steht, kann er aufgrund seiner Größenordnung von der Numerik gut erfasst werden.


© Welt der Synoptik | Autor: Denny Karran