Orkan Christian war kein klassischer Orkan nach dem norwegischen Zyklonenmodell, sondern eine Shapiro-Keyser-Zyklone. Dieser Zyklonentyp ist gekennzeichnet durch ein niedertroposphärisches Starkwindband, auch "Sting Jet“ genannt, welcher extreme Orkanböen verursacht. Weiterhin findet bei derartigen Tiefdruckgebieten kein Okklusionsprozess statt. Vielmehr wickelt sich die Warmfront um das Tiefdruckzentrum, während die Kaltfront senkrecht zur Warmfront ostwärts wandert und diese nie erreicht.
Aufgrund enormer Orkanböen von über 170 km/h geht Christian in Teilen Norddeutschland als teuerster Sturm aller Zeiten in die Geschichtsbücher ein. Allein in Schleswig Holstein wird der Gesamtschaden auf über 80 Millionen Euro geschätzt. In Deutschland kamen 7 Menschen ums Leben.
Christian bildete sich in der Nacht zum 26.10.2013 als flache 1015er-Welle an der Kaltfront des umfangreichen nordatlantischen Sturmtiefs Burkhard. In den ersten 24 Stunden seiner Entwicklung kam es aufgrund mangelnder Dynamik zu einer nur unwesentlichen Vertiefung der Zyklone. So ging der Kerndruck innerhalb der ersten 24 Stunden gerade mal auf 1005 hPa zurück. Energie gewann das Tief überwiegend aus der subtropischen Warmluft, die mit kräftigen Advektionsvorgängen in das Tiefdruckzentrum gelangte. Die pseudpotentielle Temperatur in 850 hPa erreichte teilweise über 60°C.
Zwischen dem 27.10 um 12UTC und dem 28.10. um 12 UTC begann in Interaktion mit einem sich von Westen nähernden Kurzwellentrog die eigentliche Orkanentwicklung. Während Christian in diesem Zeitraum mit einer Verlagerungsgeschwindigkeit von 90 bis 100 km/h vom Atlantik über England in die südliche Nordsee zog, ging der Kerndruck um 24 hPa auf 972 hPa zurück. Unterstützt wurde die gesamte weitere Entwicklung ab dem frühen Morgen des 28. durch einen sich zunehmend ausbildenden Dryslot. Im Zusammenspiel mit der anfangs noch vorhandenen kräftigen niedertroposphärischen Warmluftadvektion wurde die Instabilität deutlich erhöht, sodass der Sturm so eine explosionsartige Entwicklung aufweisen konnte. Seinen Höhepunkt erreichte das Tief am 28.10. gegen 17 UTC mit einem Kerndruck von 968 hPa über Südschweden (Goteborg). Die numerische Analyse vom MetOffice zeigt bereits den Höhepunkt des Sturms um 12 UTC mit 967 hPa über der Nordsee. Dies kann mit Bodenwettermeldungen jedoch nicht bestätigt werden.
Die extremen Orkanböen gingen mit einem lokalen mesoskaligen Starkwindband im Low-Level einher, welches in diesem Fall auch als "Sting Jet" bezeichnet wird. Ein Mittelwind von 158 km/h wurde mittags in etwa 1500 m über Norderney beobachtet. In 5500 m erreichten die Windgeschwindigkeiten 220 km/h. Solche ungewöhnlich hohen Werte wurden noch nicht einmal während der Orkane Kyrill und Xynthia gemessen.
Dieser "String Jet" war zwar nur ein vorübergehendes Ereignis, brachte aber genau die zerstörerischen Böen an der Südflanke, respektive am "Kopf" der um den Tiefdruckkern herumgewirbelten Warmfront. Durch Verdunstung von Wolkenluft in der im Dryslot befindlichen trockenen Stratosphärenluft kam es zu einer starken Abwärtsbeschleunigung der Luft. So wurden Spitzenböen am Boden von über 170km/h gemessen.
Auswertungen der synoptischen Stationen zeigen, dass die höchsten Windgeschwindigkeiten mit dem Durchgang der Null-Isallobare gemessen wurden. Damit trug der isallobarische Wind, der quasiparallel zur Bodenströmung wehte, ebenfalls einen nicht unwesentlichen Teil zu den gewaltigen Windgeschwindigkeiten bei. Auf einer zonalen Distanz von beispielsweise 300 km wurde so ein isallobarischer Gradient von 25 hPa gemessen. Zum Vergleich: Der während des Sturms gemessene meridionale Druckgradient in Deutschland betrug auf einer Distanz von 800 km am 28.10. um 14 UTC etwa 37 hPa. Insgesamt verstärkte sich mit dem Durchgang der Null-Isallobare vorübergehend der Mittelwind um 1 bis 2 Bft.
Die Kombination aus Druckgradienten, isallobarischem Wind, String Jet und auch Verlagerungsgeschwindigkeit des Tiefs führte zu Mittelwinden (10 min – Mittel) in Hurrikanstärke der Kategorie 1. Bereits am. 28.10. um 10 UTC wurden vor der niederländischen Küste Mittelwinde von über 120 km/h erfasst (133 km/h Hoorn-A Plattform, 122 km/h L9-FF-1 Plattform). Um 11 UTC wurden auf einem amerikanischen Containerschiff sogar Mittelwinde von 144 km/h registriert. Bis 13 UTC verlagerte sich das Sturmfeld in die Norddeutsche Bucht. Mittelwinde erreichten hier bis 137 km/h. Um 14 UTC wurden dann sogar an der Ostseeküste wie in Kiel Mittelwinde von 130 km/h gemessen. Die Spitzenböen waren dagegen noch einmal deutlich höher.
Station |
Spitzenböe |
St. Peter-Ording |
172 km/h |
Deutsche Bucht | 169 km/h |
Kiel | 169 km/h |
Brocken | 162 km/h |
List auf Sylt | 158 km/h |
Ems/UFS | 151 km/h |
Helgoland | 148 km/h |
Norderney | 137 km/h |
Schleswig | 130 km/h |
Elpersbüttel | 129 km/h |
Bremerhaven | 129 km/h |
Boltenhagen | 129 km/h |
Feldberg | 126 km/h |
Zugspitze | 122 km/h |
Cuxhaven | 119 km/h |
Wasserkuppe | 119 km/h |
Hamburg | 119 km/h |
DÄNEMARK | NIEDERLANDE | GROßBRITANNIEN | |||||
Station | Spitzenböe | Station | Spitzenböe | Station | Spitzenböe | ||
Kegnæs | 193 km/h | Vlieland | 151 km/h | Wight: Needles | 159 km/h | ||
Røsnæs | 181 km/h | Texelhors | 148 km/h | Langdon Bay | 131 km/h | ||
Odense/ Beldringe |
168 km/h | Huibertgat | 144 km/h | IsleOfPortland | 130 km/h | ||
Kopenhagen | 146 km/h | Hoorn/Teschelling | 140 km/h | Andrewsfield | 128 km/h | ||
Tirstrup | 128 km/h | Hoorn-A Plattform | 140 km/h | Odiham | 126 km/h |
Autor: Denny Karran | Veröffentlicht: am 29.10.2013 | © Welt der Synoptik