Wetterereignisse 2011

Orkan Joachim am 16.12.2011


© Deutscher Wetterdienst | Strömungsbild von Joachim
© Deutscher Wetterdienst | Strömungsbild von Joachim

Orkan JOACHIM war mit einem Kerndruck von 963,8 hPa über Mitteleuropa eine außergewöhnliche Zyklone. Zwar wurde der deutschlandweit tiefste Luftdruck von 955,4 hPa (Bremen, 27.11.1983) weder erreicht noch unterschritten, dennoch aber konnte für Brandenburg mit 964,8 hPa in Kyritz am 16.12.2011 ein neuer minimaler Luftdruckwert verzeichnet werden. Der vorherige Rekord lag bei 965,2 hPa und wurde am 26.02.1989 in Berlin-Dahlem gemessen.

 

Der Kerndruck von JOACHIM ist auch sehr gut mit dem des Sturmtiefs JORIS vom 23. Januar 2009, wo an der Station Kalkar im Niederrhein ein Luftdruck von 963,7 hPa registriert wurde, zu vergleichen. LOTHAR ließ den Luftdruck in Deutschland beispielsweise an der Station Trier am 26.12.1999 auf 970,5 hPa fallen. KYRILL erreichte am 18.01.2007 in Deutschland einen Druckwert von 962 hPa in List/Sylt-Ellenbogen.

 

JOACHIM war in Deutschland der stärkste Orkan seit XYNTHIA (28. Februar 2010).

© wetter3.de | Kräftige Frontalzone über dem Nordatlantik
© wetter3.de | Kräftige Frontalzone über dem Nordatlantik

Genese und Chronologie

 

JOACHIM ging am Anfang der zweiten Dezemberdekade aus einer flachen subtropischen Störung über dem Westatlantik hervor, die sich zwischen dem kräftigen Azorenhoch und einer Hochdruckzone über der Ostküste der vereinigten Staaten von Amerika etablierte. Von dieser ausgehend intensivierte sich die zonal auf den mittleren Nordatlantik gerichtete Frontalzone innerhalb einer markanten Westdrift zwischen dem Azorenhoch (1032 hPa) und dem Islandtief (952 hPa) am 14.12.2011 massiv. Infolge der verstärkten Jetstreakzirkulation erfolgte in der Nacht zu Donnerstag über dem Nordatlantik unterhalb positiver Divergenz mit leichtem Druckfall die zyklonale Ausbuchtung der 1010 hPa Isobare - die Zyklogenese JOACHIMs begann. Bis Donnerstag 12 UTC bildete JOACHIM etwa 800 km westlich von Island eine geschlossene Zirkulation. Der Kerndruck ging auf etwa 992 hPa zurück.

 

Zeitgleich verstärkte ein von Neufundland heranschwenkender Kurzwellentrog die subgeostrophische Windkomponente westlich von JOACHIM um mehr als 100 km/h auf über 330 km/h im Tropopausenbereich. JOACHIM gelangte unterhalb des linken Jetausganges, wodurch sich der Druckfall verstärkte. So ging in der Nacht zu Freitag der Luftdruck über dem Ärmelkanal auf 978 hPa zurück. 6 Stunden später zog der Orkan mit einem Kerndruck von 970 hPa über Belgien hinweg. Am Nachmittag des 16. Dezember 2011 erreichte JOACHIM gegen 16 Uhr MEZ bei Braunschweig mit 963,8 hPa sein Druckminimum.

 

Somit vertiefte sich JOACHIM zwischen Donnerstagmittag und Freitagmittag innerhalb von 24 Stunden von 992 auf 965 hPa. Damit legte der Orkan eine explosionsartige Entwicklung an den Tag (Bombogenese).

© wetter3.de | Intensive Warmluftadvektion über Mitteleuropa
© wetter3.de | Intensive Warmluftadvektion über Mitteleuropa

Intensive Warmluftadvektion, welche Spitzenwerte von über 2,5 Grad/Stunde aufwies, war anteilmäßig für den außergewöhnlichen Luftdruck genauso verantwortlich wie die Dynamik.

 

Anders als üblich entwickelte sich JOACHIM etwa 1000 km südöstlich von Neufundland, sodass der Sturm im Vergleich zu anderen Tiefs sehr feuchte subtropische Warmluft anzapfen konnte, welche in den späten Abendstunden des Freitags mit Aufzug der Warmfront durch das Aufgleiten auf die über Mitteleuropa liegende maritime Kaltluft reichlich Niederschlag verursachte. So fielen verbreitet 10 bis 30 mm Niederschlag in 12 Stunden.

© wetter3.de | Windgeschwindigkeiten in 850 hPa
© wetter3.de | Windgeschwindigkeiten in 850 hPa

Dank der stabilen Schichtung im Warmluftsektor (KO-Index über 15) wurden schwere Böen von über 140 km/h via vertikalen Impulstransport nicht heruntergemischt, sodass am Vormittag im Flachland über dem Südwesten zumeist nur schwere Sturmböen bis 100 km/h gemessen wurden. Die Zugspitze aber meldete bis 10 Uhr bereits Böen bis 173 km/h. Die extrem stabile vertikale Schichtung resultierte auch daraus, dass sich die Luft in der Höhe schneller erwärmte als am Boden, wo Niederschlag eine deutliche Erwärmung dämpfte. So erwärmte sich die Luft am Boden in Stuttgart zwischen 00 UTC mit 4,6 °C bis 06 UTC auf 7,4 (+2,8°C), während im gleichen Zeitraum in  etwa 3000 m ein Temperaturanstieg von 7 °C, in 7000 m sogar von 8 °C zu beobachten war. 

 

Am Nachmittag schwächte sich die Höhenströmung über Süddeutschland zunehmend ab, erreichte aber weiterhin in 850 hPa Windstärke 11 bis 12, am Abend noch 10. So waren Windspitzen am Boden auch bei der Kaltfrontpassage am Nachmittag und Abend in Baden Württemberg und Bayern nicht katastrophal. Zwar wurden überregional schwere Sturmböen, jedoch aber nur selten Orkanböen gemessen.

 

Wegen der sehr südlichen Zugbahn des Tiefs lag der Norden bereits mittags um Zustrom der maritimen Kaltluft. So wurden in tiefen Lagen Niedersachsens längst Schneeflocken beobachtet.

 

Mit dem Abflauen der Höhenströmung und der achsensenkrechten Position JOACHIMs zum Höhentief reduzierte sich die entwicklungsfördernde Dynamik am Freitagnachmittag und Abend erheblich, sodass die Zyklogenese rasch ein Ende fand. Bis Samstagmittag füllte sich JOACHIM weiter auf und erreichte die Ostsee. Sturmböen traten in der Nacht zu Samstag vor allem noch zwischen Ostsee und Erzgebirge auf. Rückseitig setzte gleichlaufend besonders an den Alpen und im Mittelgebirgsland stärkerer Schneefall ein, der im Nordosten teilweise bis ins Flachland beobachtet werden konnte.

Zugbahn des Orkans über Mitteleuropa

 

Kartenquelle: Weatheronline.co.uk

Messwerte

Spitzenböen des 16.12.11 ab 100 km/h von Wetteronline 24 Std. Niederschlag Fr. 19 Uhr bis Sa. 19 Uhr von Wetteronline (Auswahl)

Zugspitze (2962m)

184 Freudenstadt 68 mm
Wendelstein (1835m) 176 Feldberg/Schwarzwald 50 mm
Feldberg/Schwarzwald (1493m) 169 Konstanz 43 mm
Brocken (1142m) 144 Idar-Oberstein 41 mm
Weinbiet/Pfalz (557m) 137 Neuhaus 38 mm
Fichtelberg (1215m) 126 Saarbrücken 37 mm
Altenstadt (757m) 122 Tholey 35 mm
Geislingen/Stötten (737m) 119 Weißenburg 35 mm
Chieming (553m) 119 Berus 35 mm
Wasserkuppe (925m) 112 Deuselbach 34 mm
Freudenstadt (801m) 112 Kleiner Feldberg 31 mm
Klippeneck (975m) 108 Weiden 29 mm
Laupheim (538m) 106 Waldmünchen 29 mm
Schmücke (948m) 104 Braunlage 29 mm
Berus (367m) 104 Messstetten 28 mm
München/Flughafen (447m) 104 Büchel 28 mm
Fürstenzell (480m) 104 Zwiesel 27 mm
München/Stadt (535m) 101 Rheinstetten 27 mm
Mühldorf am Inn (410m) 101 Fichtelberg 27 mm


© Wasser- und Schifffahrtsverwaltung | Rheinpegel in Koblenz
© Wasser- und Schifffahrtsverwaltung | Rheinpegel in Koblenz

Auswirkungen

 

Umgestürzte Bäume, Verkehrsschilder oder Bauzäune blockierten einige Straßen. So die Schadensbilanz nachdem Orkantief Joachim über Deutschland zog. Außergewöhnliche Schäden blieben hierzulande aus, im Schulzentrum von Balingen wurde das Dach abgedeckt.

 

Auf der Bahnstrecke zwischen Schwenningen und Trossingen entgleiste ein Regionalexpress nach einem Zusammenprall mit einem umgestürzten Baum. Die Deutsche Bahn stellte in den betroffenen Regionen den Betrieb teilweise ein, auch der Flugverkehr in  Frankfurt/Main war beeinträchtigt. Weiterhin kam es zu zahlreichen Unfällen durch einsetzenden Schneefall bis ins Flachland. 

 

Zu einem schweren Zwischenfall kam es an der französischen Küste. Dort lief die TK Bremen, ein mit Heizöl und Diesel beladener Frachter, auf Grund. Die Behörden lösten Großalarm aus, weil Öl auslief.

 

Durch die starken Regenfälle stieg der Rhein innerhalb von nur zwei Tagen um mehr als 2 Meter an. Der Mainpegel erhöhte sich um etwa 1 Meter, der Donaupegel am oberen Lauf um etwa 80 cm, am unteren Lauf um etwa 1,50 Meter.

Vorhersagbarkeit

 

JOACHIM hat es uns Meteorologen wahrlich nicht einfach gemacht. Selbst, wenn man es von der heutigen Numerik hätte erwarten können, so gab es sogar 12 bis 24 Stunden vor dem Eintreffen des Ereignisses noch keine übereinstimmenden Simulationen der Modelle. Außerordentlich stabil erwies sich jedoch das hochaufgelöste Modell der Britten (NAE – North Atlantic European Model). Intensität und Zugbahn wurden in den verschiedensten Läufen sehr persistent simuliert, wenngleich das Tief anfangs intensiver gerechnet wurde als tatsächlich eingetroffen.

 

Als sehr solide erwies sich auch das UKMO (Globale Modell des britischen Wetterdienstes – MetOffice). Auch hier wurde der Sturm zwar etwas schwächer, dafür aber in seiner zeitlichen und räumlichen Auflösung recht genau simuliert.

 

Das US-amerikanische Modell (GFS – Global Forecast System) stabilisierte seine Berechnungen erst 24 bis 36 Stunden vor dem Eintreffen des Orkans. Vorher gab es deutliche Fluktuationen bezüglich der Zugbahn des Tiefs. Weiterhin wurde der Orkan ganzzeitlich zu schwach simuliert. Wie zu oft war bei dem GFS zu beobachten, dass die Böen im Warmluftsektor zu hoch gerechnet wurden. So hätte es nach seiner Variante am Vormittag über den südwestlichen Landesteilen verbreitet orkanartige Böen über zwischen 104 und 111 km/h gegeben sollen. Einzelne Orkanböen nicht ausgeschlossen.

 

Deutliche Fluktuationen zeigten hingegen die Globalmodelle GME (Deutscher Wetterdienst) und ECMWF (Europäisches Zentrum für Mittelfristprognosen). Jene Outputs konvergierten ebenfalls zunehmend erst im Laufe des Donnerstags, waren aber selbst 24 Stunden vor dem Sturmereignis für eine genaue Lagebeschreibung nicht sehr hilfreich.

 

Wegen der groben Auflösung der genannten globalen Modelle und der geringen Ausdehnung des Sturms zeigten ECMWF und GME damit kaum brauchbare Ansätze. Am besten erfasst wurde JOACHIM vom hochaufgelösten NAE und dem UKMO. Das GFS hat den Sturm zwar gut erfasst, dennoch aber wurden die Böen im Warmluftsektor wieder einmal überbewertet. Gleichwohl wurde die Sturmentwicklung als zu schwach eingestuft.

 

Insgesamt war JOACHIM mit den heutigen zur Verfügung stehenden Modellen vorhersagbar. Die Kleinräumigkeit des Sturms aber ließ genaue Vorhersagen erst 12 Stunden vor dem Eintreffen zu.


Autoren: Marcel Stieper, Denny Karran | Veröffentlicht: am 07.12.2013 | © WDS